Frauen in Führungspositionen engagieren sich für die deutsch-französische Zusammenarbeit

02.08.2022

Interview mit Anne-Laure De Chammard, Geschäftsführerin ENGIE Solutions International

1) Frau De Chammard, Sie haben als Frau eine erfolgreiche, industrielle Karriere gemacht hat. Könnten Sie uns bitte Ihren Werdegang beschreiben?

 

Nach einem Ingenieurstudium in Frankreich (Ecole Polytechnique, Corps des Ponts) und einem Studium der Verwaltungswissenschaften in den USA (Harvard Kennedy School) habe ich meine berufliche Laufbahn in den USA in der Strategieberatung bei der Boston Consulting Group begonnen, wo ich an verschiedenen Aufträgen für Akteure des öffentlichen und privaten Sektors sowie der Sozial- und Solidarwirtschaft gearbeitet habe.

Nach meiner Rückkehr nach Frankreich wechselte ich 2010 zum Ministerium für nachhaltige Entwicklung und Energie, wo ich große Infrastrukturprojekte in öffentlich-privater Partnerschaft leitete, z. B. Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken, Autobahnen, Wasserkraftwerke, Offshore-Windkraftanlagen und andere Projekte.

2014 kam ich dann als Regionalleiterin zur Bureau Veritas Gruppe, bevor ich die Generaldirektion von Bureau Veritas Construction übernahm.

Seit 2019 arbeite ich in der ENGIE-Gruppe, einem globalen und industriellen Referenzunternehmen für kohlenstoffarme Energien und Energielösungen zur Bewältigung der Klimanotlage. Zunächst war ich Direktorin für Strategie, Forschung und Innovation der Gruppe. Danach habe ich mich weiterentwickelt und wurde Managing Director von ENGIE Solutions International, einer Einheit mit 3,6 Milliarden Euro Umsatz, 17.000 Mitarbeitern, die in 20 Ländern in Europa, Nord- und Südamerika, im Nahen Osten und im asiatisch-pazifischen Raum vertreten ist.

 

2) Die Industrie ist heute noch sehr männerdominiert, ebenso die Führungspositionen. Was könnte Ihrer Meinung nach und als Managing Director von ENGIE Solutions International getan werden, um mehr Frauen in wichtige Positionen zu bringen? Welche Hindernisse müssen Frauen überwinden?

 

Der Zugang von Frauen zu Führungspositionen ist immer noch unausgewogen, und die Zahlen sprechen für sich. Bei gleichem Abschluss und gleicher Berufserfahrung haben Männer 80 % mehr Chancen auf eine Führungsposition als Frauen. Nur 8 % der CEOs der größten börsennotierten Unternehmen in der EU sind derzeit Frauen. Männer halten über 80% der Exekutivpositionen in den Unternehmen der Europäischen Union. Es gibt also noch viel zu tun.

 

Zunächst einmal muss weiter daran gearbeitet werden, das Bewusstsein für die Vorteile der Gleichstellung von Frauen und Männern im beruflichen Umfeld zu schärfen. Die Unternehmen mit dem höchsten Frauenanteil verzeichneten zwischen 2016 und 2020 einen Anstieg der operativen Marge um 18 % gegenüber 10 % bei den anderen Unternehmen. Ihre Aktien sind sogar um 51 % gegenüber 31 % bei den anderen gesprungen. Die Geschlechterverteilung ist unbestreitbar ein Vektor für Erfolg und Leistung.

 

Um diesen Übergang zu beschleunigen, glaube ich an den Nutzen eines gesetzlichen Rahmens, der Anreize schafft, insbesondere durch Quoten, denn die Gleichstellung von Frauen und Männern wird durch diese Art von Maßnahmen zu einer sehr konkreten Realität. In den sechs Mitgliedstaaten, die verbindliche Quoten anwenden, darunter Frankreich und Deutschland, stellen Frauen mittlerweile 38 % der Vorstandsmitglieder der größten börsennotierten Unternehmen, während es in den europäischen Ländern, die nur begrenzte oder gar keine Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern ergriffen haben, nur 24 % sind.

 

Schließlich muss nicht nur in der beruflichen Sphäre gehandelt werden, sondern auch die Gesellschaft im Vorfeld auf unbewusste Verzerrungen hin verändert werden. Zum Beispiel in der Schule die Lehrer sensibilisieren, damit sie mehr Mädchen einbeziehen, da sie sich unbewusst häufiger an Jungen wenden. In der Oberstufe die Berufsberater schulen, damit sie jungen Frauen verstärkt wissenschaftliche akademische Laufbahnen anbieten, die eher von Männern bevorzugt werden, aber auch technische Studiengänge, in denen junge Frauen noch zu wenig vertreten sind. Am Arbeitsplatz sollten Manager dafür sensibilisiert werden, Frauen in Besprechungen das Wort zu erteilen, denn es ist erwiesen, dass Männer 33 % häufiger das Wort abbrechen, wenn sie sich mit einer Frau austauschen, als wenn sie mit einem Mann sprechen. Von einer Entwicklung der Rechte muss man zu einer kulturellen und gesellschaftlichen Sensibilisierung übergehen.

 

3) Was raten Sie jungen Frauen, die eine Karriere anstreben?

 

Zunächst einmal würde ich jungen Frauen raten, über ihre berufliche Entwicklung nicht nur mit Blick auf die übernächste Stelle nachzudenken, sondern sich zu zwingen, über ihr langfristiges berufliches Ziel nachzudenken. Stellen Sie sich den idealen oder erträumten Beruf vor, den sie eines Tages gerne ausüben würden, und denken Sie über ihre Karriere als einen Weg nach, auf dem sie sich weiterentwickeln und die verschiedenen Bausteine erwerben können, die sie dafür benötigen. Natürlich werden sich dieses Ziel und diese Wege im Laufe des Berufslebens verändern, aber ein Ziel zu haben ist entscheidend, um langfristig planen und die Mittel einsetzen zu können, um sich zu entwickeln und dieses Ziel zu erreichen.

 

Ich rate dann dazu, Vorurteile über die berufliche Gleichstellung sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich zu dekonstruieren. Diese Vorurteile kommen in Form von Bemerkungen wie "Die Quoten werden inkompetenten Frauen zugute kommen", "Frauen fehlt es an Ehrgeiz und sie stellen ihr Familienleben in den Vordergrund", "Es gibt nicht genügend Ingenieurinnen und in technischen Berufen wird man nie eine Parität erreichen" oder "Frauen sind zu emotional oder es fehlt ihnen an Selbstvertrauen, um starke Führungspersönlichkeiten zu sein". Diese Vorurteile behindern das berufliche Fortkommen, können aber durch mehr Aufklärung über unsere unbewussten Voreingenommenheiten und durch mehr Vorbildwirkung abgebaut werden. Ich rate jungen Frauen, zu ihren Entscheidungen zu stehen, sich nicht von gesellschaftlichen Vorurteilen beeinflussen zu lassen und immer danach zu streben, sich zu entwickeln und ihre Talente in dem von ihnen gewählten beruflichen Werdegang zu entfalten.

 

4) Was hat ENGIE eingeführt, um die Gleichstellung von Frauen und Männern im Unternehmen zu fördern?

 

Die ENGIE-Gruppe engagiert sich seit vielen Jahren extrem für die Gleichstellung von Frauen und Männern, insbesondere im Management. Konkret hat ENGIE ein Programm namens "Fifty-Fifty" eingeführt, das den Anforderungen einer neuen Gesellschaft gerecht wird. Es besteht darin, die Einbeziehung von Frauen in den Konzern zu beschleunigen und bis 2030 eine Parität im Management zu erreichen. Im Einzelnen hat sich der Konzern verpflichtet, bis 2025 einen Frauenanteil von mindestens 40 % in der Konzernleitung zu erreichen und bis 2030 mindestens 40 % weibliche Führungskräfte einzustellen.

 

Wir sind der Ansicht, dass Vielfalt der Schlüssel zur Erzielung besserer Leistungen ist. Deshalb setzen wir uns für eine integrative Führungskultur ein, die in einer unsicheren und komplexen Welt einen Wettbewerbsvorteil darstellt. Dabei geht es um die Übereinstimmung mit unseren Unternehmenswerten, die Qualität des Arbeitslebens, die Verbesserung unserer operativen Exzellenz, die Repräsentativität unserer Märkte und die Anpassung an unsere Verpflichtung, Vorreiter bei der Energiewende zu sein.

 

Um dies zu erreichen, haben wir einen klaren Fahrplan: Wir führen Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen zu Vielfalt und Inklusion für alle unsere Mitarbeiter durch, wir überprüfen unsere Personalpolitik und -prozesse, um sie inklusiv zu gestalten, und wir setzen konkrete Aktionspläne um, um unsere Ziele in Bezug auf die Gleichstellung von Männern und Frauen im Management zu erreichen.

Wir führen auch konkrete Maßnahmen durch, um Mädchen bereits in der Mittelstufe für MINT-Berufe zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, eine naturwissenschaftliche oder technische Ausbildung zu absolvieren, um eine solche Karriere anzustreben.

 

Unsere Politik und unser Engagement für die Gleichstellung am Arbeitsplatz sind ein zentraler Bestandteil unserer Unternehmenskultur und wurden vom "Bloomberg Gender-Equality Index 2021" anerkannt. ENGIE steht derzeit auf Platz 7 von 120 französischen Unternehmen in der Rangliste der "Assises de l'Egalité" zur Feminisierung der Führungsinstanzen. Dies ist eine Aktion, die wir täglich durchführen, und ich engagiere mich voll und ganz als Botschafterin für Vielfalt und Inklusion innerhalb des Konzerns.

 

 

5) Welche Bedeutung messen Sie den deutsch-französischen Beziehungen bei?

 

Die deutsch-französischen Beziehungen sind von grundlegender Bedeutung, insbesondere in Zeiten einer geopolitischen Krise, die das europäische Friedensprojekt ins Herz trifft. Eine verstärkte, demokratische und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland ist unerlässlich, um das europäische Einigungsprojekt zu sichern. 

 

Diese Beziehungen sind auch notwendig, um in der entscheidenden Frage der energiepolitischen Unabhängigkeit Europas voranzukommen, die sich im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise stark gezeigt hat. Natürlich haben die beiden Länder unterschiedliche energiepolitische Entscheidungen getroffen, insbesondere in Bezug auf die Frage, ob sie nach dem Unfall in Fukushima auf Kernenergie zurückgreifen sollen oder nicht. Aber es gibt auch andere natürliche Verständigungsachsen zwischen den beiden Ländern. Beide Seiten sind sich einig, was die Bedeutung der Energieeffizienz, den Aufschwung von Wind- und Solarenergie, grüne und kohlenstofffreie Gase (Biomethan, Wasserstoff), die Begrünung des Verkehrswesens und ganz allgemein die Notwendigkeit der Dekarbonisierung der Industrie betrifft. Dies ist letztlich eine sehr breite Konsensgrundlage, auf der die beiden größten EU-Mitgliedstaaten bilateral und zum Nutzen der EU als Ganzes aufbauen können.

 

Schließlich kommt Deutschland und Frankreich eine Schlüsselrolle dabei zu, Europa auf den Weg zu bringen, die Klimaschutzziele für 2030 (-55 % Treibhausgasemissionen) und 2050 (Klimaneutralität) zu erreichen, insbesondere durch den Green Deal. Die deutsch-französische Zusammenarbeit muss ihre Arbeit im Dienste des energetischen und ökologischen Wandels in einem Klima der natürlichen "Kooperation" fortsetzen, indem sie wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse (PIIEC) durchführt. Nach dem Airbus für Batterien und dem PIEEC für Wasserstoff in den letzten Jahren könnten Frankreich und Deutschland ihre Zusammenarbeit auf anderen Märkten, wie der Rückeroberung der Photovoltaik oder der Halbleiter, verstärken.

 

Die Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft ist ein Gebot, das von beiden Ländern geteilt wird. Die Strategie von ENGIE entspricht diesem Imperativ, und unsere Einheiten, die sowohl in Frankreich als auch in Deutschland stark vertreten sind, arbeiten daran, die Dekarbonisierung unserer Kunden, Industrien und Gebiete zu beschleunigen und eine bezahlbare, zuverlässige und nachhaltige europäische Energiewende zu ermöglichen.